Ladenburg. Naschen gehört zum Job von Johanna Kurrat: Die Anwendungstechnikerin entwickelt beim Biotechnologieunternehmen Jungbunzlauer in Ladenburg raffinierte Rezepturen für „Gummibärchen“. Ihr neuestes Meisterwerk enthält knapp 25 Prozent Calciumcitrat. Damit liefern zwei Gummidrops über 650 Milligramm Calcium – mehr als ein halber Liter Milch. Das Unternehmen ist mit rund 250 Mitarbeitern vor Ort (1.200 weltweit) auf Zusatzstoffe für die Nahrungsmittel- und Pharma-Industrie spezialisiert.

Calcium macht Knochen und Zähne hart und stabil. „Wir müssen regelmäßig Calcium zu uns nehmen, denn unser Körper scheidet es über den Urin aus und kann es selbst nicht herstellen“, erklärt die 29-Jährige. Sportler oder Schwangere haben einen erhöhten Bedarf, für ältere Menschen ist Calcium wichtig, um Osteoporose, also Knochenschwund, vorzubeugen.

Mineralienzufuhr für die Menschen angenehmer gestalten

Calcium-Präparate gibt es hierzulande überwiegend in Form von Tabletten, Brausetabletten oder Pulver. Johanna Kurrat – immer interessiert an neuen Anwendungen – hat sich jetzt von einem Trend aus den USA inspirieren lassen. Und eine neue Darreichungsform entwickelt: Calcium-Gummis.

Weiche Drops, die nach Brombeere schmecken und an Gummibärchen erinnern. „Wer das Tablettenschlucken lästig findet, kann die Gummis einfach ohne Wasser zu sich nehmen“, erklärt die Expertin. Sie ist überzeugt: „Leckere Aromen, Form und Farbe machen die Drops attraktiver als andere Präparate.“

„Mit den Gummidrops sind wir auf der Suche nach einer Alternative zu Tabletten“

Knapp ein Jahr lang hat sie an der Rezeptur getüftelt, unzählige Prototypen und vergleichbare Produkte verkostet, bis das Nahrungsergänzungsmittel in seiner neuen Form allen Ansprüchen genügte: „Es geht nicht darum, Gummibärchen durch zugesetzte Vitamine oder Mineralstoffe gesünder zu machen. Wir sind auf der Suche nach einer Alternative zu Tabletten“, betont sie. Eine hohe Qualität ist der Lebensmittelspezialistin dabei sehr wichtig. Darauf legt sie auch privat großen Wert: Sie experimentiert derzeit am perfekten Käsekuchen.

Doch um eine vergleichbar hohe Mineralienzufuhr wie mit Tabletten zu erreichen, müssen die kleinen Gummis große Mengen Calcium enthalten. „Wir mussten deshalb andere Zutaten reduzieren und das optimale Verhältnis finden, damit sich die Gummis gut verarbeiten lassen und weich bleiben. Ansonsten beißt man sich daran die Zähne aus“, erklärt die Heidelbergerin.

Calciumcitrat, ein Calciumsalz der Zitronensäure, ist ein weißes, geruch- und geschmackloses Pulver. Es muss extrem fein vermahlen werden – ist es zu grob, schmecken die Gummis sandig. Neben dem Calciumcitrat stecken Zucker, Säure, Aroma, Farbe, Feuchthaltemittel und Geliermittel wie Gelatine oder Pektin für vegane Produkte in den Gummis.

Sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken für die Qualität

Kurrat hat in unzähligen Versuchsreihen diese Zutaten mit Feinwaagen abgemessen, vermischt und erwärmt. Die Masse wird dann in ein Stärkebett gegossen. „So werden übrigens auch herkömmliche Naschgummis hergestellt“, erklärt die Anwendungstechnikerin beim Besuch von aktiv. Eine Excel-Tabelle, in die sie akribisch alle Zutatenmengen einträgt, hilft ihr beim Feintuning.

Getestet wird sorgfältig im hauseigenen Sensorikpanel: Hier beschreibt eine Gruppe von geschulten Kollegen ihre sensorischen Wahrnehmungen für eine objektive Bewertung.

Es vergeht übrigens kein Tag, an dem nicht der ein oder andere bei ihr in der Laborküche vorbeischaut: „Es hat sich herumgesprochen, dass es bei mir Süßes gibt“, erzählt sie und lacht.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich habe mich früh für Chemie interessiert, Abitur an einem ernährungswissenschaftlichen Gymnasium gemacht und im Anschluss Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie studiert. Außerdem dachte ich mir: Menschen müssen immer essen, die Lebensmittel-Industrie ist ein sicheres Berufsfeld.

Was reizt Sie am meisten?

Unsere Inhaltsstoffe werden in Gummibärchen, Joghurt und sogar in (veganer) Bratwurst verwendet. Ich arbeite nicht nur im Labor, sondern unterstütze auch unseren Verkauf beim Kunden und besuche Messen. Dadurch kommt man ganz schön rum und lernt viel Neues.

Worauf kommt es an?

Kreativität und Freude am Umgang mit Lebensmitteln und Inhaltsstoffen sowie Verständnis für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Wichtig sind auch das Interesse an neuen Anwendungen und Trends sowie Teamfähigkeit – denn niemand weiß alles alleine.

Andrea Veyhle
Autorin

Nach dem Germanistik- und Anglistik-Studium absolvierte Andrea Veyhle ein Volontariat und arbeitete für eine Agentur. Seit 2007 ist sie freiberuflich für verschiedene Verlage tätig. Für aktiv berichtet sie in Reportagen über die Chemie in Baden-Württemberg und stellt mit Porträts die vielseitigen Berufsbilder der Branche vor. Außerdem erklärt sie, wo uns chemische Produkte im Alltag begegnen. In ihrer Freizeit experimentiert sie gerne in der Küche, Kalorien strampelt sie auf dem Rennrad wieder ab.

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