Erdgas ist eine wesentliche Komponente der Energieversorgung in Deutschland. Knapp ein Viertel der Primärenergie, also jener Energiemenge, die im Land jährlich insgesamt genutzt wird, wird durch Erdgas abgedeckt. Es dient vor allem zur Strom- und Wärmeproduktion, als Grundstoff für die Industrie, als Kraftstoff im Verkehr.

1. Darum ist Erdgas so wichtig

Größter Verbraucher ist die Industrie, gefolgt von privaten Haushalten. Hier ist Erdgas bundesweit mit einem derzeitigen Anteil von circa 44  Prozent wichtigster Energieträger am Wärmemarkt, so der Branchenverband der Gas- und Wasserwirtschaft (DVGW). Ein Ende der russischen Gaslieferungen hätte weitreichende Folgen für unsere Wirtschaft, würde ganze Industriezweige bedrohen. Für ein Bundesland wie Bayern beispielsweise, dessen Industrie zu etwa 25 Prozent zur Bruttowertschöpfung beiträgt, würde das gewaltige ökonomische und soziale Folgen nach sich ziehen.

Nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ließe sich gesamtwirtschaftlich kurzfristig nur knapp ein Fünftel des Gasverbrauchs ersetzen oder einsparen. Ein Gas-Embargo im Ukraine-Krieg oder auch ein Lieferstopp von russischer Seite aus käme daher zwangsläufig einem Produk­tionsstillstand gleich. Dazu kommt: Die heimische Wirtschaft ist bereits durch Corona, Rohstoff- und Materialmangel sowie Lieferkettenprobleme stark belastet und aus dem Gleichgewicht. Das trieb die Preise für Industrieerzeugnisse im Schnitt um ein Viertel in die Höhe

2. So kommt das Gas nach Deutschland

Die Bundesrepublik selbst hat nur wenig eigenes Gas. Lediglich 5 Prozent des deutschen Verbrauchs werden durch einheimische Produktion gedeckt. Damit ist die Bundesrepublik stark abhängig von Importen. Russische Lieferungen deckten noch 2020 etwa 55  Prozent der deutschen Gasimporte, aktuell sind es etwa 34 Prozent. Mit einigem Abstand folgen als Lieferländer Norwegen und die Niederlande sowie Großbritannien und Dänemark. Deutschland ist nicht das einzige Importland in Europa. Viele Staaten, die selbst nur in geringem Maße Erdgas fördern können, sind stark auf russisches Gas angewiesen. Im Schnitt bestreiten die EU-Staaten knapp 40  Prozent ihres Erdgasverbrauchs durch russische Lieferungen. Deutschland importierte bereits während des Kalten Kriegs Gas aus der Sow­jetunion. Ende der 1980er Jahre deckten sowjetische Importe etwa die Hälfte des Gasbedarfs in Deutschland.

3. So wird Gas verteilt

Gas aus dem Osten erreicht Deutschland über drei Hauptstränge: Nord Stream 1 über die Ostsee sowie die Pipelines Jamal und Transgas. Der deutsche Süden mit seiner stark industriegeprägten Wirtschaft ist dabei besonders abhängig vom russischen Erdgas. „Nordrhein-Westfalen verbraucht das Gas aus Holland, Norddeutschland mehr norwegisches Gas, Bayern hängt physikalisch am russischen Strang“, beschreibt Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) die Lage. Die Verteilung im Land ist aufwendig. Das deutsche Gasnetz misst rund 511.000 Kilometer. Es transportiert fast die doppelte Energiemenge des Stromnetzes, so der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

4. Das sind Deutschlands Gas-Vorräte

Zur Versorgungssicherheit hat man seit Langem unterirdische Gasspeicher angelegt. Sie gleichen Schwankungen beim Verbrauch aus, bilden einen Puffer. In Deutschland gibt es knapp 50 Untertagespeicher, der größte ist in Rehden in Niedersachsen. Die Bundesnetzagentur beobachtet täglich die aktuellen Füllstände, derzeit betragen sie etwa 38 Prozent. Normalerweise sind die Speicher zu Beginn der Heizperiode im Herbst gut gefüllt. Letzten Winter war der Füllstand jedoch historisch niedrig. Bis 1. November will man auf 90 Prozent kommen.

5. Das bedeutet ein Gas-Lieferstopp

Sofern es zu einem Lieferstopp von russischem Gas durch aktive Schließung der Ventile auf dem Weg der Transportleitungen nach Deutschland käme, wäre der Gasfluss unterbrochen, die Pipeline wird zu einem großen Röhrenspeicher. Das Gas steht in der Leitung, der Druck wird langsam abgebaut. Um einen bestimmten Mindestdruck, der etwa für Verdichter erforderlich ist, nicht zu unterschreiten, müssten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Ultima Ratio könnte die Abschaltung eines Großverbrauchers sein, etwa aus der Industrie, so der DVGW. Nach einem Stopp könne das Netz auch nicht einfach wieder angefahren werden. Der Arbeitsaufwand hierfür sei groß.

6. Das sieht der Notfallplan für Gas vor

Deutschland bereitet sich auf den Ernstfall vor. Ende März hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die erste Stufe im „Notfallplan Gas“ ausgerufen. Das gab es noch nie. Der Notfallplan regelt die Gasversorgung in Deutschland in einer Krisensituation. Er hat drei Eskalationsstufen – die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und als letzten Schritt die Notfallstufe, je nach Schweregrad der Störung, den zu erwartenden ökonomischen und technischen Auswirkungen sowie der Dringlichkeit der Störungsbeseitigung.

In der jetzt aktivierten Frühwarnstufe tritt ein Krisenteam aus Behörden und Energieversorgern zusammen. Gasversorger und Betreiber der Leitungen werden dazu verpflichtet, regelmäßig die Lage für die Bundesregierung einzuschätzen. Der Staat greift in diesem Stadium noch nicht ein. Vielmehr ergreifen Gashändler und -lieferanten, Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber Maßnahmen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Dazu gehören etwa die Nutzung von Flexibilitäten auf der Beschaffungsseite, der Rückgriff auf Gasspeicher, die Optimierung von Lastflüssen oder die Anforderung externer Regelenergie. Für Verbraucher ändert sich damit erst mal nichts. Sollte es zu Engpässen kommen, sind private Haushalte und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser besonders geschützt. Muss die Notfallstufe ausgerufen werden, übernimmt die Bundesnetzagentur die Funktion des Lastverteilers. Ihr obliegt in enger Abstimmung mit den Netzbetreibern dann die Gasverteilung, auch an Abnehmer aus der Industrie.

7. Das sind Alternativen zu Gas

Man muss zwischen kurz- und langfristigen Lösungen unterscheiden. Aus Klimaschutzgründen will Deutschland weg von fossilen Energieträgern wie Gas. Unabhängig von der aktuellen Situation sind erneuerbare Energien also erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen. Grüner Wasserstoff könnte langfristig Erdgas dort ersetzen, wo eine Elektrifizierung nicht oder schwer möglich ist. Auch Biomethan kann künftig eine Rolle spielen. Schnelle Abhilfe und Ersatz für russisches Gas soll dagegen tiefgekühltes Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) schaffen. Es kommt per Schiff. Bislang ist Deutschland da auf seine Nachbarn angewiesen. In Wilhelmshaven starteten nun Arbeiten für ein eigenes schwimmendes Terminal. Ende 2022 sollen erste Tanker anlegen.

8. Gas sparen: Was wir alle jetzt tun können

Je weniger Gas im Frühjahr und Sommer verbraucht wird, desto besser wird die Lage im Winter. „Wer Putin schaden will, spart Energie“, diese Losung hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgegeben. Jeder ist also gehalten, so viel Energie wie möglich einzusparen. Das fängt zu Hause an. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft sieht hier immerhin kurzfristige Einsparmöglichkeiten von 15  Prozent.

Friederike Storz
aktiv-Redakteurin

Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

Alle Beiträge der Autorin