Es steht nicht gut um Europas Einheit. Diesen Eindruck vermitteln nicht nur der Brexit und seine ungeordnete Abwicklung; auch der Dauerstreit zwischen West- und Osteuropäern über die Aufnahme von Flüchtlingen, die Konflikte über die Aufstellung des Haushalts und die Vergemeinschaftung von nationalen Staatsschulden werfen kein günstiges Licht auf die innere Verfassung der EU.

Und doch könnten die Europäer gerade in diesem Jahr 2019 ein Signal des Aufbruchs für Europa aussenden: Rund 400 Millionen wahlberechtigte Bürger zwischen Kiruna und Valletta sind zwischen dem 23. und 26. Mai aufgerufen, ein neues europäisches Parlament zu wählen. Zurück zum Europa der Nationalstaaten lediglich mit einer verbesserten Zollunion als Klammer, ein fortgesetztes Krisenmanagement zum bloßen Erhalt des Status quo oder weitere Schritte hin zu den Vereinigten Staaten von Europa – das sind die zentralen Richtungsentscheidungen, die auch mehr als 64 Millionen Wahlbürger in Deutschland zu treffen haben.

Wobei auch klar ist: Der Brexit ist kein Betriebsunfall, nach dem die EU einfach weitermachen kann wie bisher. Zu viel Regulierung und Bürokratie, zu wenig Wettbewerb und Selbstbestimmung – auf diese Weckrufe der Briten muss Brüssel bald Antworten finden.

Für was auch immer Sie als Wähler votieren, sicher ist: Der Kontinent wird vielleicht politisch, aber nicht geografisch auseinanderdriften. Deutschland bleibt das wirtschaftsstärkste und größte Land in der Mitte, umgeben von vielen wichtigen Nachbarn. Und Großbritannien wird selbst nach einem EU-Austritt nicht nur ein Kernland großer europäischer Kultur und Geschichte bleiben, sondern auch einer der wichtigsten Märkte für unsere Schiffe, Autos, Flugzeuge und Maschinen.

Einen Exit aus Europa kann es also nicht geben. Und eine Zersplitterung der EU wäre für niemanden schädlicher als für uns Deutsche: Die drittgrößte Exportnation der Erde hat ein existenzielles Interesse an möglichst ungehindertem Handel und Wandel, an weitgehender Arbeitnehmerfreizügigkeit und offenen Grenzen. Ein geeintes Europa ist für uns alternativlos – es kommt nur drauf an, dass wir es besser gestalten.