Herscheid. Justyna Krauber läuft mit einem Headset die Gänge rauf und runter – und eine Stimme flüstert ihr ins Ohr: „Gehe zu Gang sieben, Fach eins, entnimm dort vier Bodenhülsen.“ Dann spricht die junge Frau ins Mikro des elektronischen Helfers noch die letzten Zahlen des Etiketts, um zu checken, ob sie das Richtige herausgegriffen hat. „Das frühere Gerät hat mich nicht verstanden, wenn ich erkältet war“, schmunzelt sie, „doch mit dem neuen lässt sich gut reden.“

Ihr Arbeitgeber, die Firma GAH Alberts im sauerländischen Herscheid, ist dabei, die Fabrik zu digitalisieren. Krauber macht beim Hersteller von Metallartikeln für Haus und Garten eine Ausbildung in Lagerlogistik.

Das Metallunternehmen GAH Alberts hat für einen Kitaplatz „jeden Stein umgedreht“

Eigentlich kam sie als Zeitarbeiterin ins Lager und hatte nicht vor, lange zu bleiben. Doch es kam anders, weil sie sich in dem Betrieb gut aufgehoben fühlt: „Egal, was für ein Problem man hat, man kann sich hier immer an jemanden wenden.“ So habe man „jeden Stein umgedreht“, um einen Kitaplatz für ihre Tochter zu finden. Das Familienunternehmen legt Wert auf Ausbildung – und tut viel, um gute Leute zu finden und zu halten. Und wenn eine Zeitarbeitskraft „einschlägt“, ist die Firma auch bereit, sie auszubilden. Wie die junge Mutter Justyna Krauber.

Ob Kita-Betreuung, Nachhilfeunterricht, Sportangebote oder Fahrtkostenzuschüsse: Die Metall- und Elektro-Unternehmen lassen sich einiges einfallen, um junge Leute zu locken. Alljährlich bildet der wichtigste Industriezweig Nordrhein-Westfalens 40.000 Jugendliche aus, Kosten: rund 800 Millionen Euro.

Vor allem in der Provinz wie in Herscheid müsssen sich die Betriebe strecken, um alle Lehrstellen zu besetzen. „Man kann nicht früh genug anfangen, für den Nachwuchs zu werben“, so Jutta Wrona, Personalleiterin der Firma.

Bereits Vorschulkinder kommen zum Hersteller von Metallartikeln für Haus und Garten

Am besten schon im Kindergarten. So kommen bereits Vorschulkinder in die Fabrik. Die Kleinen kriegen dann Warnwesten mit dem Firmenlogo drauf und schauen sich an, wie Zäune, Tore, Winkel, Fahrradständer und Bodenhülsen gestanzt, montiert und beschichtet werden. Es gibt ja kaum einen Garten oder ein Haus in Deutschland ohne irgendein Produkt der Herscheider.

Zudem öffnet das Unternehmen einmal im Jahr die Tore für Schüler und Lehrer, bietet Berufserkundung für Achtklässler und Praktika. Wenn wieder mal Kinder oder Jugendliche im Betrieb sind, schauen sie häufig bei Erik Wroblewski vorbei. Der angehende Stanz- und Umform-Mechaniker macht gern handfeste Dinge: „Es ist schön, zu sehen, wenn aus einem Coil am Ende ein Winkel oder ein Beschlag herauskommt.“ Der junge Mann fährt auch auf Digitales ab. Gemeinsam mit den anderen 20 Azubis arbeitet er an einer App für die interne Kommunikation: „Schon cool, wie so was Stück für Stück aufgebaut wird.“

Das Metallunternehmen ist als bodenständig bekannt, zugleich aber auch weltoffen. Azubis können Unterricht in diversen Fremdsprachen nehmen, um mit den ausländischen Niederlassungen zu kommunizieren.

Elektrotechnik-Firma Wago bietet Azubis die Möglichkeit, einen ausländischen Standort kennenzulernen

Auch Wago, führender Hersteller von elektrischer Verbindungs- und Automatisierungstechnik für Wohn- und Bürogebäude, Produktionsanlagen und Bahn in Minden, macht die Jugend fit für einen internationalen Einsatz. Er bietet Azubis die Möglichkeit, für ein paar Wochen einen ausländischen Standort kennenzulernen.

Um den Bedarf an Fachkräften im industriereichen Ostwestfalen zu decken, muss der Elektrotechnik-Spezialist alle Hebel in Bewegung setzen. Achtklässler gehen bei Wago gerade ein und aus: In der Ausbildungswerkstatt lassen sich die Jungen und Mädchen die Grundlagen der Metallbearbeitung und Elektrotechnik zeigen: feilen, sägen, Schaltkreise schließen.

Bis zu 800 Jugendliche schauen sich jährlich bei Wago um. Die Firma setzt auf Schulkooperationen, um seinen hohen und wachsenden Bedarf an Nachwuchs-Fachkräften zu decken. Das Unternehmen hat erst vor kurzem einen neuen Produktionsstandort unweit vom Stammsitz in Betrieb genommen. „Dafür brauchen wir mehr Mitarbeiter, und es ist nahezu unmöglich, alle benötigten Fachkräfte auf dem Markt zu finden“, sagt Ausbildungsleiter Thomas Heimann.

Vorteil des dualen Studiums: Man verdient dank der parallelen Lehre schon gutes Geld

Jeder Zehnte der 2.500 Beschäftigten in Minden absolviert eine Ausbildung – oder ein duales Studium (Kombination von betrieblicher Ausbildung und Vorlesungen an der Hochschule). Von den 45 dualen Studenten sind sieben Frauen, darunter die Elektrotechnik-Studentin Julia Heinrichs: „Zu Hause bin ich die Anlaufstelle, wenn ein Laptop oder eine Steuerung nicht laufen.“

Ausbilder Heimann ist von ihr angetan: „Als sie in der Schule an ihrem Minicomputer gebastelt hat, konnte sie eine ganze Klasse fürs Programmieren begeistern. Sie ist ein Aushängeschild für uns.“

Die ambitionierte Fußballerin findet den Praxisbezug ihrer Ausbildung „ganz toll. Man studiert und verdient schon gutes Geld.“

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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