Jetzt bloß kein falscher Handgriff: Annelore Plessing-Menze öffnet die Flasche mit einer Testsubstanz und leitet die Dämpfe über einen Schlauch zu dem Gefahrstoffdetektor. „Die Substanz ist leicht flüchtig“, erklärt die promovierte Bio-Chemikerin. „Die Dämpfe sind toxisch und krebserregend. In die Luft sollten sie nicht gelangen, aber um die Sensoren des Geräts zu testen, sind sie gut geeignet.“

Plessing-Menze arbeitet im Labor der Firma Airsense Analytics in Schwerin. Hier „trainiert“ sie die Gefahrstoffdetektoren auf Gerüche und kalibriert sie. Binnen weniger Sekunden erfassen und analysieren die Geräte kleinste Konzentrationen chemischer Substanzen.

„Das macht uns zu einem zuverlässigen Partner bei Großveranstaltungen, wie der reibungslose Ablauf bei den Olympischen Sommerspielen in Rio zeigte“, so Geschäftsführer Andreas Walte. Der Physiker und promovierte Elektrotechniker gründete Airsense Analytics vor 20 Jahren gemeinsam mit Wolf Münchmeyer. Beide waren damals gemeinsam an der TU Hamburg-Harburg.

Der Schritt in die Selbstständigkeit wurde als „technologieorientierte Unternehmensgründung“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanziell unterstützt – unter einer Bedingung: Der Sitz muss in den neuen Bundesländern sein.

„Diese Chance haben wir, wie viele andere, genutzt und von Schwerin aus in Kooperation mit der TU die ersten Messgeräte entwickelt und produziert“, erzählt Walte.

Zusammenarbeit mit Experten von der Feuerwehr

Der Prototyp für „elektronische Nasen“ war geboren. Schon im ersten Jahr stellte man die Handgeräte auf einer Messe in den USA vor und realisierte: Es gibt einen Markt dafür. Gemeinsam mit der Feuerwehr erarbeitete Airsense dann Detektoren, die Industriegifte und Kampfstoffe mithilfe verschiedener Sensoren erfassen können.

Für den Einsatz in Brasilien wurden eigens Sensoren für Sprengstoffe hinzugefügt. Die Lebensmittel-, Umwelt- und Pharma-Industrie nutzt die „Nasen“ zur Qualitätssicherung und zur Überwachung.

Bis zu 200 Geräte für verschiedenste Anwendungen fertigt der 30-Mann-Betrieb im Jahr. 80 Prozent sind Gefahrstoffdetektoren für den Sicherheitsbereich, die von Polizei, Militär und Feuerwehr genutzt werden – und auch vom Zoll im Hafen: „In Import-Containern sind oft Begasungsmittel oder Rückstände aus der Produktion“, erklärt Münchmeyer. „Zum Schutz der Mitarbeiter prüfen wir vor dem Öffnen stichprobenartig die Belastung.“

Auch Öldämpfe in Flugzeugen lassen sich mit Airsense finden

Um Belastungen, vor allem aber um das Thema Wirtschaftlichkeit geht es beim Einsatz sogenannter „Aerotracer“. Dieses mit Lufthansa Technik entwickelte Gerät zur Wartung spürt toxische Substanzen rund ums Flugzeug auf, die durch Leckagen am Triebwerk entstehen und als „Zapfluft“ in die Kabine gelangen können.

Der Aerotracer identifiziert das beschädigte Triebwerk, ohne dass es ausgebaut werden muss. Selbst ein Kabelbrand lässt sich vorher aufspüren. „Für uns ist es reizvoll, wenn Kunden durch unsere Geräte wirtschaftliche Effekte erzielen und zugleich Schaden abwenden können“, betonen die Chefs. „Die Ideen gehen uns hier nicht aus.“

Ihr Überleben sichert die kleine Hightech-Firma durch Forschung und Entwicklung. Knapp ein Drittel der Mitarbeiter ist permanent in Projekte mit Universitäten und Hochschulen rund um Software, Auswertung und Sensoren involviert.

„Wir erfassen extrem geringe Konzentrationen“, so Walte, der die Entwicklung und Fertigung verantwortet. „Deshalb müssen die Sensoren sehr selektiv sein und manche Stoffe wie die Bestandteile der Luft auch gezielt ignorieren.“ Um die hohe Zahl an verschiedenen Substanzen sicher erfassen zu können, sind die Detektoren mit einem Haupt- und mehreren Zusatzsensoren ausgestattet. Diese Methode ist patentiert, sie reduziert Fehlalarme.

Die Geräte werden in Schwerin aus Hunderten von Einzelteilen manuell montiert – in kleinen Stückzahlen. „Wir bewegen uns in Nischen, die für große Player oft nicht interessant sind“, sagt Marketing- und Vertriebschef Münchmeyer.

Fast 90 Prozent der Geräte werden exportiert, Kunden gibt es auf fast jedem Kontinent. In Brasilien gründeten die Schweriner 2015, ein Jahr nach der Fußball-Weltmeisterschaft, eine Tochterfirma in Rio de Janeiro.

Selbst im Weltraum findet das System aus Schwerin Einsatz

Olympia hat weiteren Auftrieb gegeben und ist nun die beste Referenz für weltweite Ereignisse. Aufstrebend sind auch der asiatische Markt, allen voran China, wo sich ein Vertriebsbüro befindet, und Indien. Und selbst im Weltraum sind die Detektoren gefragt: Auf der internationalen Raumstation ISS wacht ein Gerät darüber, dass sich Bakterien und Pilze nicht unbemerkt vermehren.

Weil die Detektoren auch militärisch nutzbar sind, ist für den Export eine Genehmigung nötig. Eine Fertigung außerhalb der EU ist nach Angaben der Geschäftsführung keine Option. Walte: „Wir haben bisher keine guten Erfahrungen damit gemacht, vor allem in Bezug auf die Qualität. In Schwerin haben wir bessere Kontrolle, auch über die Zulieferer. Sie sitzen zum Teil in direkter Nachbarschaft.“

Beste Bedingungen also, um hier weiter zu wachsen. Am erforderlichen Platz würde es nicht scheitern, nebenan ist noch ein Grundstück frei.

Begegnung mit …

Jan Dohrn: Der PC- und Flipper-Freak

Arbeite ich noch – oder bin ich schon im Feierabend? Diese Frage könnte sich Jan Dohrn an manchen Tagen stellen, wenn er nach seinem Entwickler-Job bei Airsense weitere Stunden mit Technik und Computern verbringt. Seit drei Monaten engagiert sich der 33-Jährige beim Verein „Hackspace Schwerin“, der im Nebengebäude ein „Hack-Labor“ eingerichtet hat. Hier finden technikinteressierte Studenten, Schüler, Rentner und Mitarbeiter verschiedener Firmen einen offenen Raum für ihr Hobby. Auch Kurse im 3-D-Druck und Löten werden angeboten.

Einmal pro Woche ist er zudem im Flipper-Museum Schwerin – zum Spielen und Warten der Geräte. Mehr als 90 Automaten aus acht Jahrzehnten stehen hier, zum Teil voll funktionsfähig. In Kürze muss er diese Aktivitäten jedoch etwas einschränken: „Wir haben gerade unser neues Haus bezogen, Anfang Oktober erwarten wir das erste Kind.“

Mein Job

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Schon als Schüler habe ich Geräte auseinandergenommen, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Zu Airsense bin ich 2010 durch meine Master-Arbeit gekommen.

Was gefällt Ihnen besonders?

Ich entwickle Elektronik und Software für Geräte, die Leben schützen. Das ist ein positiver Antrieb.

Worauf kommt es an?

Man braucht sowohl Hardware- als auch Software-Kenntnisse. Oft muss man lange tüfteln, bis ein Gerät perfekt läuft. Das fordert Geduld und Kreativität.