Marktheidenfeld. Den Stein ins Rollen brachte ein Bewerbungsschreiben beim Markisenspezialisten Warema in Marktheidenfeld. Das war Mitte 2015. Ausbildungsleiter Tobias Harth erinnert sich: „Ein junger Flüchtling bewarb sich um ein Praktikum zur Berufsorientierung.“ Für das mittelständische Familienunternehmen stand schnell fest, dass es dem jungen Migranten eine Chance geben will.

Um auf ein erfahrenes Netzwerk zurückzugreifen, holte sich Warema Unterstützung beim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft sowie der IdA-Navigatorin Vanessa Weick. IdA steht für „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ und ist eine Initiative der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, der Staatsregierung sowie der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Die Navigatoren sind dabei Bindeglied zwischen den Unternehmen und Flüchtlingen.

Unternehmen kooperieren bei der Integration

Durch die Beratung unterstützt, nahm Warema den Flüchtling als Praktikanten auf – und plante mehr: „Wir wollten die Möglichkeit, Flüchtlinge als neue Fachkräfte zu gewinnen, langfristig und professionell angehen“, sagt Harth. Dazu kooperierte Warema mit der benachbarten Procter & Gamble Manufacturing GmbH. Der Vorteil: „Wir bieten dadurch mehr Menschen eine Chance und können die Berufsschule vor Ort einbinden.“ Andernfalls hätten die Flüchtlinge Unterricht in der auch für dieses Gebiet zuständigen Berufsschule in Schweinfurt gehabt.

Der Einstieg in eine der beiden Firmen ist klar strukturiert: Die von den IdA-Navigatoren vorgeschlagenen Kandidaten absolvieren ein dreiwöchiges Orientierungspraktikum – wobei sie je die Hälfte der Zeit bei Warema und bei Procter & Gamble verbringen.

Dann treffen Kandidaten und Unternehmen eine Auswahl für ein Vertiefungspraktikum. Zwei Wochen lang schnuppern die Flüchtlinge hier in ihren favorisierten Beruf hinein, lernen die Aufgaben und Anforderungen kennen. Anschließend fällen beide Seiten die Entscheidung, ob es weitergeht.

Bei Warema standen Fahd Alhaj Khalifeh und Mohamad Khalil vor genau einem Jahr an diesem Punkt: „Uns gefiel Warema sehr gut“, sagen beide einhellig. Ihr angestrebtes Ziel: die dreieinhalbjährige Ausbildung zum Elektroniker. Um das zu erreichen, durchliefen sie bei Warema von März bis August 2017 eine Einstiegsqualifizierung. Neben vertiefenden Einblicken in ihre Berufe besuchten sie schon die Berufsschule und erhielten zusätzlichen Sprachunterricht. Die Mühe hat sich gelohnt: Die beiden sowie zwei weitere Flüchtlinge schafften den Sprung in die Ausbildung und starteten zusätzlich zu den regulären Azubis im September 2017 bei Warema. Ihr großer Vorteil gegenüber anderen Kandidaten: Ihre Sprachkenntnisse sind vergleichsweise gut.

Im Januar 2019 geht es in die nächste Runde

Neu als Ausbilder fing zeitgleich Florian Schmitt an. Zu Khalil und Khalifeh fällt ihm nur Lob ein: „Die beiden kommen sehr gut mit allen Leuten aus“, sagt er. „Sie sind einfach supermotiviert.“ Sprachlich gebe es natürlich noch manche Hürde. „Ich lerne, Dinge mit einfachen Worten zu erklären“, sagt er. „Das hilft übrigens auch den anderen Azubis, die fachlichen Zusammenhänge besser zu verstehen.“

Ja, geben die beiden Syrer zu: „Bei der Fachsprache hakt es.“ Aber im Alltag haben sie fast keine Probleme mehr, im Gegenteil: „Wir lernen hier ja zwei Sprachen“, scherzt der 27-jährige Khalifeh. „Hochdeutsch und Fränkisch!“ Sein Kollege, der 22-jährige Khalil, spricht zu Hause nur deutsch, er lebt mit seiner deutschen Freundin zusammen. Sprachen lernt er gerne. Neben seiner Muttersprache Kurdisch kann er sich in Arabisch, Türkisch und Englisch unterhalten. Für Ausbildungsleiter Tobias Harth war das erste Jahr eine Lernphase. Vor allem bei einem Thema: „Die ganzen Vorurteile, die in den Medien kursieren, haben sich alle nicht bestätigt“, sagt er bestimmt. „Die jungen Menschen waren immer höflich und freundlich und haben von sich aus Kontakt zu den Kollegen gesucht.“ Sein Fazit: „Man merkt deutlich, dass sie sich integrieren wollen.“

Weil die Erfahrungen so positiv waren, fiel es Warema leicht, den Weg weiterzugehen. Weitere Flüchtlinge durchlaufen eine Einstiegsqualifizierung, sie sollen ab Herbst ausgebildet werden. „Und wir bereiten schon die nächste Runde ab Januar 2019 vor“, sagt Harth.

Auch der Kooperationspartner Procter & Gamble ist dabei. Dort ist man ebenfalls hoch zufrieden. Für Personalleiter Hugo Schwab war von Anfang an klar: „Wir unterstützen solche Programme voll und ganz.“ Schließlich setze der Konzern, der in Marktheidenfeld elektrische Zahnbürsten produziert, weltweit auf Diversität und Inklusion: „Das gehört zu unserem Selbstverständnis.“

Fehlendes Wissen wird bei Youtube nachgeschaut

Zwei junge Syrer haben den ersten Durchlauf mit Praktika und Einstiegsqualifizierung geschafft und machen seit Herbst eine Ausbildung zum Industrieelektriker. Der 23-jährige Mohamad Alali war in seiner Heimat Student, hat sich dann hier für die Ausbildung entschieden: „In Deutschland finde ich damit leichter eine Arbeit und kann besser Geld verdienen“, sagt er.

Sein Kollege Ahmad Sedo (25) hatte sich im Internet über die Berufe erkundigt, bevor er über die IdA-Navigatoren Kontakt zur Metall- und Elektrobranche aufgenommen hat. In Syrien hat er für eine Telekommunikationstechnikfirma gearbeitet und kann sich in die neuen Themen schnell eindenken. „Und wenn ich mal nicht weiß, wie etwas funktioniert, schaue ich bei Youtube nach“, verrät er. So wie alle neuen Azubis hat er sich auch einer internen Whatsapp-Gruppe angeschlossen. Dort tauschen sie sich regelmäßig über Fachthemen oder den Lehrstoff in der Berufsschule aus.

Ihre Ausbilderin Carolin Frank schätzt vor allem die Ruhe und Besonnenheit, die die beiden engagierten jungen Männer in die Gruppe ihrer Schützlinge bringen: „Sie sind ja ein wenig älter als unsere 16-Jährigen und gehen mit ganz anderem Ernst an die Ausbildung heran.“

Das Fachliche kann jeder lernen

Seit dem 1. März sind weitere drei Syrer zur Einstiegsqualifizierung bei Procter & Gamble, auch sie sollen ab Herbst möglichst ihre Ausbildung aufnehmen können. „Sehr schön ist, dass die Vorauswahl der geeigneten Kandidaten von IdA so gut organisiert ist“, sagt Carolin Frank. „Sie passen perfekt in unser Unternehmen.“ Auch sie sieht die Sprache als größtes Handicap. „Das Fachliche kann jeder lernen“, sagt sie. „Wenn der Wille da ist und man sich bei der Sprache anstrengt, dann schafft man die Ausbildung.“

Wie eine IdA-Navigatorin Flüchtlinge in die passenden Betriebe lotst

Würzburg. „Wenn es um Flüchtlinge geht, sind wir als Dienstleister der Unternehmen quasi für alles zuständig“, sagt Vanessa Weick, IdA-Navigatorin für den Bezirk Unterfranken in Würzburg. Sie arbeitet im Rahmen des Programms IdA der bayerischen Metall- und Elektroarbeitgeberverbände bayme und vbm, die fast 7 Millionen Euro für die Flüchtlingsintegration bereitgestellt haben. Dabei vermittelt sie seit 2016 unter anderem Flüchtlinge an Betriebe. Man helfe bei der Auswahl und darüber hinaus auch bei allen weiteren Fragen, etwa im Kontakt mit Behörden. „Zu Beginn muss ich einen Flüchtling aber erst einmal genau kennenlernen“, sagt sie.

In einem formalisierten Berufseignungstest wird zunächst geschaut, welche Fähigkeiten der Migrant mitbringt. Dabei geht es in knapp zwei Stunden etwa um Mathe, Physik, logisches Denken und räumliches Vorstellungsvermögen. „Der Test ist schon knackig“, sagt Weick. „Aber der Anspruch in der M+E-Industrie ist eben besonders hoch, eine Auswahl muss sorgfältig getroffen werden.“

Manchmal hilft auch das Bauchgefühl

Zusätzlich werden die Sprachkenntnisse bewertet. „Sie sind die Grundlage für eine erfolgreiche Ausbildung.“ Diese Rückmeldung erhalte man auch regelmäßig aus den Betrieben. Klappe es dort einmal nicht mit einem Flüchtling, liege das oft an seinem schlechten Deutsch. Neben der Einschätzung nach Noten und Zertifikaten sprechen Weick und ihre Kollegen in anderen Bezirken auch immer wieder selbst mit Kandidaten, um sich ein persönliches Bild zu machen: „Habe ich danach ein gutes Bauchgefühl und signalisiert der Flüchtling mir echtes Interesse an einer Tätigkeit, vermittle ich ihn eher.“ Zunächst empfiehlt Weick immer ein Praktikum von wenigen Wochen, damit sich Betrieb und Bewerber kennenlernen können. Danach folgt dann oft noch eine sogenannte Einstiegsqualifizierung von bis zu einem Jahr. Währenddessen gehen die Flüchtlinge auch schon in die Berufsschule. Erst danach starten sie dann ihre Ausbildung.

Aus Erfahrung weiß die IdA-Navigatorin: „Die Flüchtlinge haben hohe Erwartungen und Ansprüche an sich selbst.“ Viele haben einen konkreten Berufswunsch im Kopf und sind zunächst enttäuscht, wenn es mit diesem nicht klappt. „Aber wir finden dann oft eine Lösung, mit der alle zufrieden sind.“

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

Alle Beiträge der Autorin