Fünf Uhr morgens am Hamburger Jungfernstieg. Während auf der benachbarten Reeperbahn langsam die Lichter ausgehen, herrscht an der Alster emsiges Treiben. Die ersten Athleten treffen ein und bereiten sich auf das sportliche Event des Jahres vor: 3,8 Kilometer Schwimmen, 182 Kilometer auf dem Rad und zum Schluss ein 42,2-Kilometer-Lauf. Die Veranstaltung ist eine Premiere, heute findet der erste Ironman-Wettkampf der Hansestadt statt.

Die Bedingungen sind nahezu optimal, laut Wettervorhersage soll es nicht übermäßig warm werden. Ähnlich günstig ist die Windprognose, mit starken Böen ist nicht zu rechnen. Das dürfte auch die über 150.000 Zuschauer freuen, die heute erwartet werden.

Viele von ihnen sind Angehörige der Teilnehmer, die aus insgesamt 67 Ländern angereist sind. Nach Angaben der Veranstalter haben sich 2.500 Sportler angemeldet, was für eine deutsche Ironman-Premiere – auch angesichts der hohen Startgebühr von über 600 Euro pro Nase – doch eine ganze Menge ist.

Der Start ist für 6.40 Uhr angesetzt, aber schon eine halbe Stunde früher wird es an der Binnenalster eng. Einige Sportler machen sich warm, andere springen kurz ins Wasser, um die Temperatur zu testen.

Einer von ihnen ist Paul Jacobs. Über ein Jahr hat sich der in Hamburg lebende Engländer gezielt auf diesen Tag vorbereitet. Nun sollen sich die vielen Trainingseinheiten und Entbehrungen endlich auszahlen.

Ob die Kräfte reichen? Jacobs ist relativ neu im Triathlon-Geschäft. Erst 2014 absolvierte der heute 52-Jährige seinen ersten Marathon, ein Jahr später folgte die Triathlon-Premiere, allerdings auf der Kurzdistanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Rad und 10 km Laufen).

Nach je zwei weiteren Triathlons und Marathons (einer davon in diesem Jahr unter vier Stunden) wartet nun die größte Herausforderung: ein Ironman, die Königsdisziplin der Ausdauersportler. Für Jacobs, der als Lizenz-Ingenieur bei Airbus arbeitet und eine Frau und einen siebenjährigen Sohn hat, ein Riesenkraftakt. „Ich habe großen Respekt vor der Strecke“, sagt er. „Für einen Ironman braucht man Mut, weil man sich dem Risiko des Scheiterns aussetzt.“

Kurz vor sechs Uhr trifft sein Kollege Malte Schön ein. Mit 43 Jahren startet er in der am stärksten besetzten Altersklasse. Auch er ist Ironman-Debütant, blickt jedoch auf eine längere Karriere als Freizeit-Läufer zurück.

„Als Student bin ich den Marathon unter 3 Stunden gelaufen“, erzählt er, „jetzt liege ich zwischen 3:15 und 3:20 Stunden. Auf die Laufstrecke freue ich mich schon, auch das Radfahren liegt mir.“ Seine Schwäche ist das Schwimmen, wie bei vielen Triathleten, aber er ist zuversichtlich. „Die Vorfreude ist riesig, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass so eine Strecke einem alles abverlangt.“

Schon vor dem Schwimmen dann das erste Problem: Im Gedränge auf den Terrassen des Jungfernstiegs übersieht Schön eine Kante und rutscht ab. Mit Schmerzen im Fuß eilt er trotzdem zum Wasser und startet kurz nach sieben Uhr in den Wettkampf. Zusammen mit 2.500 anderen Athleten kämpft er sich durch die Alster – im Hinterkopf immer die bange Frage, ob der Fuß den Belastungen des Radfahrens und Laufens standhalten wird.

Kleine Rempeleien mit anderen Schwimmern gehören dazu

Im Kampf gegen die Uhr kommen ihm seine Wettkampf-Vorbereitungen zugute: Als Programme Procurement Manager für den A 380 pendelt der Airbus-Mann regelmäßig zwischen Hamburg und Toulouse, und in Frankreich gibt es in direkter Nähe zum Werk ein Schwimmbad mit 50-Meter-Bahn. „Zusammen mit dem Training im hoteleigenen Fitness-Studio war das ideal“, sagt Schön. Und es zahlt sich aus: Bereits nach 80 Minuten ist er mit dem Schwimmen fertig.

Nur sieben Minuten später steigt auch Jacobs aus der Alster. Bis auf kurzzeitig beschlagene Schwimmbrillengläser und versehentliche Rempeleien mit anderen Athleten lief eigentlich alles wie geplant. „Anfangs war es ein ziemliches Gedränge“, erzählt er, „aber schon nach dem ersten Wendepunkt entzerrte sich das Feld. Auf dem Weg zurück zum Jungfernstieg fühlte ich mich richtig gut.“

Nach zehn Minuten in der Wechselzone heißt es für ihn: Helm auf und ab aufs Rad. „Nach dem Schwimmen war ich froh und erleichtert, endlich auf dem Bike zu sitzen“, so der Engländer.

Auch Schön zwängt seinen lädierten Fuß in die Radschuhe und stellt auf dem Weg durch die Hafencity Richtung Nordheide fest: Der Schmerz lässt nach, alles läuft nach Plan.

Planung ist ohnehin bei einem Vorhaben dieser Größenordnung elementar. Rund um Familie, Beruf und Freundeskreis muss ein umfangreicher Trainings- und Ernährungsplan eng getaktet werden. Schön: „Ich war schon immer ein systematischer Mensch, der sich feste Ziele gesteckt hat. Aber der Ironman verlangt noch mal eine Extraportion Fokussierung und Überwindung.“

Trainingsfahrten auf dem Rennrad nach Travemünde

Wichtig für ihn: große Brocken in kleine Etappen unterteilen. Beim Schwimmen also nicht die ganze Zeit an zwölf Stunden Durchhalten denken, sondern sich freuen, wenn man die erste Boje geschafft hat. Dann den Blick auf den nächsten Wendepunkt lenken. „Im Job“, so Schön, „gehe ich die Aufgaben ähnlich an. Das funktioniert.“

Auch für Jacobs ist klar, dass die Ironman-Vorbereitung einem Athleten viel abverlangt – vor allem dann, wenn es zu Hause noch eine Familie gibt, die man nicht vernachlässigen will. Schön und Jacobs haben Glück, ihre Familien stehen hinter ihnen, und auch das Arbeitsumfeld ist so geartet, dass es die sportlichen Ambitionen nicht behindert.

Während Schön die Mittagspause oft für Trainingszwecke nutzte, integrierte Jacobs sein Laufpensum gerne in den abendlichen Heimweg. Die Trainingseinheiten auf dem Rad – meist zum Ferienhaus in Travemünde – absolvierte er auf einem 25 Jahre alten Rennrad, das er von seinem Vater geerbt hatte. Für den Wettkampf allerdings war das Sportgerät nicht mehr geeignet, daher wurde ein neues Bike angeschafft.

Mit Erfolg, ohne technische Probleme erledigt Jacobs die 182 Kilometer in 6 Stunden und 20 Minuten. „Damit liege ich in meinem selbst gesteckten Zeitlimit. Selbst im Tunnel und auf dem Weg in die Wechselzone blieb ich im hohen Gang, ich konnte es kaum erwarten, mit dem Laufen anzufangen.“

Bei Schön läuft es ähnlich gut, er erreicht die Wechselzone am Ballindamm nach 5 Stunden und 49 Minuten. Der „Boxenstopp“ dauert nur wenige Minuten: Rad abstellen, Helm absetzen, Schuhe wechseln und ab zur Paradedisziplin Laufen.

Der Marathon führt in vier Runden entlang der Alster. Statt des „Runner’s High“ kommt aber erst mal die Erschöpfung. Schön: „Eigentlich wollte ich zum Schluss richtig aufdrehen, aber der Akku war einfach leer.“

Am Ende springt immer noch eine exzellente Zeit von 3:43 Stunden heraus. Einschließlich der kurzen Aufenthalte in der Wechselzone macht das insgesamt 11 Stunden, 13 Minuten und 57 Sekunden. Für einen ersten Ironman ein grandioses Ergebnis und besser als erwartet. Als Gordon Haller 1978 den ersten Ironman-Wettbewerb überhaupt auf Hawaii gewann, brauchte er noch 11 Stunden, 46 Minuten und 58 Sekunden.

Das Gefühl im Ziel: erschöpft und trotzdem absolut euphorisch. „Zwei-, dreimal hatte ich zwischendurch ein kleines Tief“, erzählt Schön, „aber ich konnte mich immer wieder motivieren. Der Ironman stand auf meiner ‚Bucket List‘ zusammen mit Kindern und einem Neuseeland-Besuch. Jetzt fehlt nur noch die Reise ans andere Ende der Welt.“ Dank guter Vorbereitung lief der Wettkampf perfekt, auch das Wetter spielte mit, und die Unterstützung der Hamburger an der Strecke – darunter seine beiden Kinder mit ihren Großeltern – war olympiareif.

„Insgesamt ein super Tag“, bilanziert Schön, „mit ziemlicher Sicherheit nicht mein letzter Ironman! Aber jetzt wird erst mal Urlaub gemacht. Darauf freue ich mich schon sehr.“

Und Paul Jacobs? Mit 4:34:04 für die Marathondistanz überquert der Airbus-Ingenieur nach 12 Stunden, 41 Minuten und 17 Sekunden die Ziellinie auf dem Rathausmarkt, wo schon seine Frau Monique auf ihn wartet. Sein Fazit: „Die Beine sind ein bisschen müde, aber sonst alles okay. Auch die Zeit ist gut.“

Trotzdem ist für ihn klar, dass er jetzt eine kleine Auszeit nehmen wird. „Ich war ein soziales Desaster im vergangenen Jahr, jede freie Minute ist fürs Training draufgegangen. Darunter leiden Familie und Freundschaften. Deshalb habe ich meiner Frau versprochen: keine Wettkämpfe 2018.“ Stattdessen will er seine Erfahrungen weitergeben und als Coach andere Freizeitsportler auf den Triathlon vorbereiten.

Der Sieger brauchte für die 228 Kilometer nur 8 Stunden und 36 Sekunden

Im Zielbereich am Rathaus geht es unterdessen munter weiter. Vom Turm schlägt es 22 Uhr, aber noch immer kommen Teilnehmer an. Auf der großen Video-Wand über der Tribüne wird erneut der Einlauf des Südafrikaners James Cunnama (34) gezeigt, der für die insgesamt 228 Rennkilometer durch Hamburg nur 8 Stunden und 36 Sekunden brauchte und damit den ersten Platz belegte.

Der letzte Teilnehmer kommt um 23.03 Uhr ins Ziel. Der Mann, ein halbseitig gelähmter Sportler, läuft drei Minuten nach dem offiziellen Wettkampf-Ende ein und damit außerhalb der Wertung. Den Zuschauern ist es egal, sie klatschen und jubeln trotzdem und feiern den Finisher mit stehenden Ovationen, als wäre er der wahre Sieger dieses außergewöhnlichen Tages. Eine Frau ist so ergriffen, dass sie weint.

Neben ihr steht ein älterer Zuschauer mit einer brennenden Wunderkerze in der Hand. Möglicherweise ist er selbst Sportler, denn er trägt ein T-Shirt mit einem Spruch, der perfekt zu dieser Veranstaltung passt. Auf dem Trikot steht: „Der Schmerz vergeht, aber der Stolz bleibt.“