Das vorsichtige Kennenlernen ist vorbei, inzwischen hat Reymond Tietz sich mit seinem stählernen Kollegen richtig angefreundet. „Das ist wie beim Autofahren“, sagt der 44-jährige Bediener. „Als Anfänger hast du auf den ersten Kilometern noch Manschetten, dann wird es ein ganz normaler Teil deines Alltags.“

Der imposante Industrieroboter, mit dem Tietz seit eineinhalb Jahren zusammenarbeitet, ist mehr als doppelt so hoch wie er, bringt 15 Tonnen auf die Waage und besitzt ein „feines Händchen“. Das streckt der einarmige Riese regelmäßig nach den größten Schiffspropellern der Welt aus, die bei Mecklenburger Metallguss (MMG) in Waren an der Müritz produziert werden.

Nach dem Gießen, Abkühlen und Entfernen der Gussform landen die Propeller-Rohlinge, die mitunter mehr als 65 Tonnen wiegen, in der mechanischen Fertigung von MMG. Erste Station ist ein Schwerlast-Drehteller in Reichweite des Roboters. Dort werden die Gussteile zunächst vermessen.

„Ein wichtiger Schritt, denn nach dem Guss haben die Propeller bei weitem nicht die vorberechneten Maße“, erklärt Michael Beuster, der das Aufmesser-Team leitet. Stellenweise müssen bis zu 14 Millimeter Material abgetragen werden.

Um genau zu wissen, wo und wie viel abzuschleifen ist, erstellen der 33-jährige Beuster und seine Leute mit modernen Verfahren wie optischer Vermessung mit Lichtraster und Fotogrammetrie ein topografisches Abbild von jedem Propeller. Bis zu 20 Millionen Daten werden so erzeugt, die als „Punktwolke“ auf dem Computer sichtbar werden.

Die „Datensammlung“ geht nach der Vermessung an Reymond Tietz. Der hatte früher die Aufgabe, „auf dem gesamten Propeller bis zu 1.000 Bohrungen zu setzen“ – alles per Hand, versteht sich.

Eine anspruchsvolle und anstrengende Arbeit, aber enorm wichtig. Denn die Tiefe jeder Bohrung zeigt in der weiteren mechanischen Bearbeitung an, „was runter muss bis zur optimalen Form“, so Tietz.

Von Fraunhofer-Experten in Rostock entwickelt

Diese Aufgabe hat nun der Roboter übernommen. Er wurde im Rostocker Fraunhofer-Anwendungszentrum Großstrukturen in der Produktionstechnik (AGP) für diese Aufgabe spezifiziert und für einen Langzeittest bei MMG installiert.

Das knallig-gelbe Gerät ähnelt einem kräftigen Kranausleger, der auf einem dicken runden Fuß steht. Von den Rostocker Erbauern um Professor Martin-Christoph Wanner wurde er so konstruiert, dass sein Arm jeden relevanten Punkt der riesigen Propeller erreichen kann. Laut Wanner gibt es weltweit keinen elektrisch angetriebenen Industrieroboter, der größer ist.

Allerdings ist auch er auf menschliche Hilfe angewiesen. Bevor der Roboter loslegen kann, muss Reymond Tietz die Daten der Aufmessung direkt in die Steuerung eingeben, anschließend überwacht er nur noch die Arbeit des Geräts.

Assistiert wird dem computergestützten Anbohrroboter von einem Lasertracker. Dieser gleicht über Spiegelreflektoren, von denen jeweils drei auf jedem Propellerflügel angebracht sind, die genaue Position permanent ab, da die Schiffsschraube während der gesamten Prozedur mehrmals gedreht werden muss.

Der kleinste Fehler kann fatale Folgen haben

Der Bohrkopf des riesigen Industrieroboters erinnert an einen Landeapparat aus der Raumfahrt. Mit einem vernehmlichen Zischen von Luftdüsen, die das Bohrfeld von den Spänen freipusten, nähern sich drei tellergroße Saugnäpfe der Oberfläche des Propellers. Haben sie aufgesetzt, halten sie den Bohrkopf fest, während ein Fünf-Millimeter-Bohrer in das Material eindringt.

Wie tief, ist eine Sache von Zehntelmillimetern. „Der Roboter arbeitet so extrem genau, das würde ich von Hand nie hinbekommen, und schon gar nicht in der Zeit“, zeigt sich Bediener Tietz beeindruckt und erleichtert, dass er diesen Job nicht mehr machen muss. Die 1.000 Anbohrungen bewältigt der Roboter in der halben Zeit wie einst Tietz und Co.

Bis es so weit war, testeten die MMG- und Fraunhofer-Experten regelmäßig den Bewegungsablauf des Roboters. Das lieferte wichtige Daten, um vor allem die Steuerungstechnik sicher zu machen.

„Ein Roboter macht immer nur das, was ihm vorgegeben wird“, sagt Lars Greitsch, Geschäftsführer bei MMG und Leiter der Entwicklung. „Der kleinste Fehler kann fatale Folgen haben.“ Schlimmstenfalls wird an einer sensiblen Stelle des Propellers eine Bohrung zu tief gesetzt.

Die verschieden großen Propeller laufen inzwischen beim Anbohren „sauber durch“. Entsprechend zufrieden ist der 41-jährige Geschäftsführer bislang mit dem Einsatz des Industrieroboters. Dieser reiht sich in die Strategie von MMG ein, die Produktion kostengünstiger und effizienter zu gestalten. Das Unternehmen ist bei großen Schiffspropellern weltweit führend. Allerdings haben sie auch ein spezielles Handicap: Ihre Propeller müssen bis zu Lieferung an die meist in Asien ansässigen Kunden eine lange Seereise absolvieren.

„Das entfällt für unsere härtesten Konkurrenten in Japan, China und Südkorea“, sagt Greitsch. „Sie können dadurch schneller liefern.“

Nun soll der Roboter noch kompakter und schneller werden

Erklärtes Ziel ist es daher, in einem Nachfolgeprojekt mit dem Fraunhofer-AGP den Anbohrroboter zu verschlanken und noch schneller zu machen. „Wir wollen künftig nur ein Drittel der früheren Zeit zum Anbohren aufwenden und so die Durchlaufzeit der Propeller insgesamt verkürzen.“

Auch liefert der aktuelle Testverlauf viele Daten und Erkenntnisse, die weitere Anwendungen eröffnen. Etwa in der Vermessung. Das kann sich Vorarbeiter Michael Beuster gut vorstellen. „Dann müssten wir bei der optischen Vermessung nicht mehr unser schweres Stativ herumwuchten.“

Mecklenburger Metallguss GmbH

Der Propeller-Weltmeister

Die Historie von Mecklenburger Metallguss (MMG) reicht zurück bis 1892, als in Waren an der Müritz eine Maschinenbauanstalt mit Eisengießerei gegründet wurde. Schiffspropeller kommen seit 1948 aus Waren. Bis 1990 lieferte der Betrieb des Schiffbaukombinats der DDR die Antriebsaggregate vorwiegend an die ostdeutschen Werften. 1999 erfolgte die Integration in die DIHAG Holding (Essen), einem Verbund von zehn Gießereien. 2016 lieferte MMG 130 Schiffspropeller aus und erzielte einen Umsatz von 80 Millionen Euro. Derzeit beschäftigt das Unternehmen 225 Mitarbeiter.